Texte über Heinz Glüsing

Hans Platschek   EIN GRAUGRÜN ALS FIGUR

Daß der Maler Glüsing Formate bevorzugt, die zwei Handlängen nicht überschreiten und selbst diese Maße zuweilen reduziert, hat nichts mit Selbstbescheidung oder gar mit einem verengten Blickwinkel zu schaffen. Vielmehr findet sich die Erklärung in zwei Elementen: in der Farbe hier und in der Figur dort.

Beide verschränken sich auf eine Weise, die, so oder so, die Minifläche nur unterstreicht. Jacob Burckhardt hat einmal den Satz geschrieben, das Format sei nicht das Kunstwerk, aber eine Lebensbedingung desselben. Im Fall von Heinz Glüsing geht es um eine Verdichtung, genauer: um eine Farbigkeit, die noch die geringfügigste Nuance in Beschlag nimmt und Tonalitäten förmlich von hinten her, aus der Leinwand heraus, beleuchtet.

Die Figur spielt dabei die Rolle einer Stütze.  Glüsing hat in den letzten Jahren die Masken des venezianischen Karnevals als Motiv gewählt, an sich also schon Kunstfiguren, die, einmal im Bild, für Überraschungen gut sind und dem Spiel der Farben keine wie immer geartete Buchstäblichkeit entgegensetzen. Vor dem Motiv allerdings hat Glüsing die Masken oder auch Landschaften gemalt, handtellergroße, die später, im Atelier, Farbträger sein sollten und folglich Umarbeitungen ausgesetzt waren: die Maske ist nunmehr ein schwarzer Akzent, die Knöpfe am Gewand des Harlekins zwei graugrüne Flecken auf einem rotem Ocker. Wobei sich eine für Glüsings Malerei typische Schwierigkeit beim Beschreiben einstellt: das Graugrün ist, genau genommen, kein Graugrün, sondern ein naß in naß aufgetragenes, von roten Ocker gebrochenes Olivgrün.

Allein, hinwegdenken lassen sich die Figuren nicht. Auch wenn sich Glüsing der Grenze zur Abstraktion nähert, in einigen Landschaften beispielsweise, bleibt der figurative Ansatz, und sei es als bildnerische Metapher, wie die Kubisten es nannten, greifbar. Wobei Glüsing selbst auf diesem Ansatz besteht: erst das draußen Gesehene lädt ihn zu dem ein, was er drinnen, im Atelier, an Farbigkeiten erfindet. Auch das merkwürdige Licht, das die Kleinformate illuminiert, ein Licht, das abermals der Farbe mehr verdankt als einem Helldunkel, hängt, wenn auch entfernt und umgemünzt, von realen Lichtverhältnissen ab.

Nicht nur das Konzentrierte dieser Bilder ist ungewöhnlich, das Fehlen jeglicher Schreikrämpfe; ebenso erstaunlich ist die für unsere Breitengrade unübliche Malkultur. Glüsing ist ein Spätentwickler, der sich obendrein über Jahre hinweg in seinem Atelier eingeschlossen hielt und nichts anderes tat als seinen immer schon vorhandenen Farbsinn zu entwickeln, zu steigern und auszureizen; der, ein Hamburger Dozent und ein Wandmaler in Knickerbockern, eines Tages ein Maler schlechthin sein wollte. Er hat dabei Schiffe hinter sich verbrannt, oft aber auch an sehr frühe Erfahrungen geknüpft, die ihn, toutes proportions gardees, in die Nähe eines Bonnard, eines Morandi oder, ohne daß  er sich darüber Rechenschaft ablegte, jenes späten Georges Braque rückte, der, mit ein paar ausgesuchten Farben und kaum mehr mit Stilfragen befaßt, unwiderstehliche Landschafien malte. Auch sie übrigens in Kleinformat, 21 zu 65 etwa oder 27 zu 45. Solche Bilder aufzublasen ist schon deshalb ein Ding der Unmöglichkeit, weil damit die Farbe von ausgeprägteren Flächen behelligt und die Figur zu einer Kenntlichkeit gezwungen wird, die der malerischen Definition zuwider laufen kann.  Zeitgemäß, das stimmt schon, ist der Entschluß fürs Kleinstformat, für Dichte und für Malerei mit großem "M", wie Glüsing sie geltend macht, in keiner Weise. Nur hat es sich mittlerweile herumgesprochen, daß Zeitgemäßes in der Regel weniger von der Zeit als vom Bildermarkt bestimmt wird: von Instanzen, denen sich Glüsing in dem Augenblick entzog, da er, auf die Gefahr hin, als Unperson dahinzuleben, die Tür zu seinem Atelier verschloß.

Auf der anderen Seite ist gerade diese Malerei brandaktuell. Sie setzt auf sich selbst, eine Sache für Minoritäten, die, wie man weiß, im Kunstgeschehen am Ende doch den Ausschlag geben. Die Ethik seiner Bilder besteht darin, daß sie den Beschauer zwingen, sich Zeit zu lassen und präziser hinzusehen. Andernfalls nimmt er nicht die Raffinesse wahr, mit der sich ein Zinnober neben einem warmen Grau behauptet und obendrein einen Pulcinell, eine Colombine, in jedem Fall eine Figur ergibt.

Katalog Studio Galerie Hamburg, 1989

 

Helmut R. Leppien   DAS WAGNIS DER FARBE

Während Heinz Glüsings Ausstellung "Vor der Natur" mit Studien aus Norddeutschland im Altonaer Museum zu Ende geht, eröffnet die Studio Galerie eine andere, die einfach "Öl und Farbstift" heißt.

Nur sind die Landschaftsbilder mit Farbstift - mit der Jaxon-Kreide - gezeichnet. Es sind malerisch aufgefaßte Ansichten, die Glüsing auf seinen Reisen nach Tirol, nach China festgehalten hat, sehr frei, wenig abbildend.

Mit Öl hingegen malte Glüsing Figurenbilder. Sie sind knapp im Ausmaß; seit vielen Jahren hat er sich auf das kleine Format beschränkt. Hans Platschek fand die Erklärung in zwei Elementen: "in der Farbe hier und in der Figur dort". Ein drittes darf nicht übersehen werden: die Schnelligkeit, mit der Glüsing malt. Er malt schnell, um den Augenblick festzuhalten.  Der kurze Weg vom Augenblick zum Pinselstrich ist ihm wichtig, ja unerläßlich; die große Komposition ist nicht seine Sache.

Glüsing: ein Figurenmaler, der seinen Augeneindruck mit Farbe und in schneller Pinselbewegung zu einem Bild macht - es lohnt sich, dies zu bedenken. Er verbindet das Bedürfnis und die Fähigkeit, das Gesehene möglichst unmittelbar malend festzuhalten, mit einer informellen Bildstruktur, die auf Wiedererkennbarkeit nur begrenzt Rücksicht nimmt. So offen die Struktur von Glüsings Bildern ist, sie hat doch etwas Entschiedenes; Elemente der Straffung begegnen immer wieder. So sind seine kleinen Figurenbilder erfüllt von der Spannung zwischen dem Flüchtigen und dem Festen.

Im Alter hat Glüsing sein koloristisches Talent zu einer Meisterschaft entwickelt, die dem genau Sehenden tiefen Eindruck macht. Die Farbigkeit seiner Bilder ist zurückhaltend, aber fern von Blässe. Sie lebt von der Differenzierung, von der Entwicklung vielfältiger Zwischentöne und zugleich von der kühnen Setzung entschiedener Kontraste - sei es der  Ton- oder der Farbwerte.

Der Kolorist Glüsing ist ein ökonomischer Verschwender; er hält nichts vom Beschränken, aber viel vom Bändigen. Hat man sich auf seine Malerei eingelassen, erlebt   man   einen   ungewöhnlichen  Reichtum von Farben, nimmt die strahlende Lichtheit der hellen Töne wahr. Aber nie sind diese Bilder bunt. Seine Fahigkeit, so viele Farben in Ruhe zueinander zu bringen, macht Glüsing zum Meister.

Die Figuren auf Glüsings Bildern sind chinesische, auch indische Therterpuppen - mal im Spiel, mal hingelegt, leblos - oder maskierte Menschen. Mag uns anfangs die freie, handschriftliche Umsetzung und die komplexe Farbigkeit ganz gefangengenommen haben, zunehmend beschäftigt uns auch Glüsings Figurenwelt, sei es die Schamanin, deren Gesicht ein Tuch verhüllt, sei es das Zueinander des Stockmaskenpaares in ihrem harten Gegensatz, sei es die geheimnisvolle Dreiergruppe im Karneval.

Der Analytiker muß zerlegen, um erkennbar zu machen. Der Interpret endet mit der Einladung an den Betrachter von Glüsings Bildern, wachen Auges die Einheit von Gestalt und Gestaltung wahrzunehmen.

Katalog Studio Galerie Hamburg, 1993